scientificneuroticstop


©Witte, 2001

30.10. - 19.11.2001

Eröffnungsrede von Raimar Stange:

Schönen guten Morgen und vielen Dank für die Einladung hier im Wunstorfer Kunstverein zu der Ausstellung scientificneuroticstop von den drei jungen hannoverschen bzw. Neubremer Künstlern Jürgen Witte, Piotr Komarnicki und Alexander Steig sprechen zu dürfen.

Bewußt habe ich eben gesagt, daß ich zu der Ausstellung sprechen möchte, und nicht über die Ausstellung. Besserwissende Didaktik ist nämlich nicht mein Ding und erklären kann man die Kunst letztlich eh nicht. Eine Einführung, wie auf der Einladungskarte versprochen, kann ich Euch und Ihnen also nicht bieten.

Statt dessen aber ein paar Ausführungen von mir und um die Ausstellung scientificneuroticstop herum.

I. Zunächst noch mal zur Einladungskarte, die ja unfreiwillig und plötzlich eine ungewöhnliche heftige Brisanz bekommen hat. Kriegerisch nämlich kommt sie mit ihrem dramatischen und aktionsreichen Auftritt daher. Oder doch terroristisch? Eine Frage, die hier bei der Einladungskarte kaum zu klären ist. Uneindeutigkeit ist eben die Sache der Kunst.

Ganz anders gibt sich das sogenannte richtige Leben: Das die Angriffe auf Afghanistan nicht kriegerischer sondern terroristischer Natur sind, daran gibt es eindeutig keinen Zweifel. Der amerikanische TV-Sender CNN gibt das unumwunden zu, berichten die doch unter dem Slogan: America strikes back.

Terrorismus als Antwort auf Terrorismus, diesmal von einer Regierung befohlen, die bekanntlich mit Wahlbetrug an die Macht in den ach so freien und humanen - Stichwort Todesstrafe - Vereinigten Staaten von Amerika gekommen ist. Ein Nationalstaat also kämpft gegen einen erklärten, aber nicht ausgemachten, gewissermaßen landeslosen Gegner und trifft dabei unzählige Unschuldige – Stichwort Streubomben – bewußt mit. Da mit Brotpaketen scheinbar helfen zu wollen, ist lediglich zynisch.

II. Vom Medium CNN zum künstlerischen Medium der hier drei ausstellenden hartnäckigen Wunstorfer heroes: Wieder tritt in ihrer Kunst eine angenehme Uneindeutigkeit auf den ästhetischen Masterplan. Videos, Photos, Plakate, Objekte, Ballett.... Gottseidank keine Malerei. Entscheidend dabei aber ist vor allem folgendes: das künstlerische Medium selbst, welches auch immer aus diesem bunten Mixed genutzt wird, ist nicht eigentliches Thema und wird nicht in seinen Möglichkeiten mehr untersucht, wie z. B. in der Konkreten Kunst oder der Video Art der Sechziger Jahre des letzten Jahrtausends. Medien sind statt dessen heute selbstverständliche Werkzeuge, billig, einfach zu bedienen und fast beliebig einsetzbar. CNN für die Abfeierung von US-Imperialismus, Video für MTV und VIVA – oder halt für die künstlerischen Alltagsanalysen eines Piotr Komarnicki. Großformatige Plakate für Politiker-Wahlkampf oder wie hier für bewußt eingesetzte Öffentlichkeits-Irritationen Marke Jürgen Witte, Tierversuche schließlich können als Labor für faschistoide Genforschung genutzt werden oder als cooles Szenarium eines verrückt-lifestyligen Kakalaken-Balletts bei Alexander Steig.

Es gibt also keine per se guten und bösen Medien mehr, gerade beim Medium Video war aber das einmal anders gedacht worden. Der Urvater aller Videokunst Nam Jun Paik nämlich glaubte Mitte der 60er Jahre, damals brachte SONY gerade die erste tragbare Videokamera der Welt auf den Markt, mit Hilfe der handlichen Videotechnik quasi ein TV von Unten aufbauen zu können, das jedem erlaubt eigene Bilder und Berichte über den Äther zu schicken. Die amerikanische Studentenbewegung hatte diese Hoffnung später aufgegriffen, ist aber, wie Nam Jun Paik auch, an diesem Unterfangen letztlich gescheitert. Sendelizenzen werden halt staatlich vergeben, und kommerzielle Interessen geben auch hier den uniformen und rigorosen Ton an.

III. Das Leben als Gameshow.

Wenn es einen gemeinsamen Nenner zwischen Jürgen Witte, Piotr Komarnicki und Alexander Steig zu nennen gibt, dann meiner Meinung nach vielleicht diesen: Leben und Kunst werden von ihnen als visuelles Spiele vorgestellt, als regelrechte Inszenierung, die vor allem im Bild sich verausgabt, das so banal wie bizarr, so alltäglich wie ästhetisch auf den Plan tritt.

Jürgen Wittes Meta-Modellsituation, Piotr Komarnickis privater Bilderkosmos und Alexander Steigs Kakalakenballett mit Sound zeugen dabei von einer spielerischen Strategie, die bei Jürgen gesuchte Verbrecher ins Rotieren bringt, bei Piotr private Momente und bei Alexander schließlich für tierische Tänze und Totalitäten sorgt.

Nicht mehr ist dieses Gefühl vom „Leben als Gameshow“ getragen von einer barocken Melancholie oder von einer bekettsch-absurden Haltung, die drei Künstler hier zeichnen sich vielmehr durch eine lapidare Poesie aus. Durch eine Poesie, die die Lage zwar stets ernst, aber immer auch leichtfertig nimmt. Genau das ist das gute Recht der Kunst. Und genau das macht die Situationen erträglich, auch in vermeintlich schweren Zeiten.

IV. Warum heißt die Ausstellung eigentlich nicht scientificneuroticnonstop? The show must go on! Die Kunst kennt, entgegen Hegels Diktum, kein Ende. Meine Rede aber sehr wohl:

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und den drei Künstlern sowie dem Kunstverein Wunstorf Glückwunsch zu spannenden Ausstellung.

 

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